(...) Bert Jäger, der 1919 in Karlsruhe geboren wurde, ist bisher nur wenigen als Fotograf bekannt. Während sein abstraktes malerisches Werk in den letzten Jahren bereits in ausgesuchten Einzelausstellungen gewürdigt und von einem größeren Publikum wahrgenommen wurde, sind seine Fotografien erstmals Gegenstand einer umfangreichen Publikation überhaupt. Dies ist umso verwunderlicher, da sich in ihnen exemplarisch die Aufweichung der Genreunterscheidungen zwischen Kunstfotografie, journalistischer und dokumentarischer Praxis in Deutschland Ende der 1950er Jahre widerspiegelt. Eine Tendenz, die ansonsten vor allem in der amerikanischen Fotografie, zuerst in den 1930er Jahren, zu beobachten ist. Damals war während der wirtschaftlichen Depression in den USA eine umfangreiche bildliche Dokumentation der negativen Folgen der Industrialisierung entstanden. Im Regierungsauftrag fotografierte so u.a. Walker Evans (1903–1975) die schwer von der Wirtschaftskrise betroffene Landbevölkerung. Evans richtete dabei seinen Blick auf das Gewöhnliche, so dass man einem journalistischen Interesse entsprechend Außergewöhnliches oder Sensationelles in diesen sozialdokumentarischen Aufnahmen vergebens sucht. Seine bis heute anrührenden Bilder verarmter Saisonarbeiter sind aber nicht nur Zeitdokumente, sondern genauso formal erfolgreich gelöste Einzelbilder, die sich zwischen dokumentarischer Praxis und künstlerischem Konzept bewegen. Mit seiner Konzentration auf die Alltagswelt der amerikanischen Gesellschaft und gleichzeitig bewussten Ablehnung einer Instrumentalisierung dokumentarischer Fotografie zu gesellschaftlichen Veränderungen wird Evans zu einem wichtigen Referenzpunkt für eine weitere Generation von so genannten dokumentarischen Kunstfotografen, die wie Bert Jäger bei seinen Reisen durch Italien und Frankreich  ihre Motive im öffentlichen Raum, auf Straßen und in Geschäften vorgefunden haben. Robert Frank (*1924), Lee Friedlander (*1934) oder Garry Winogrand (1928–1984) setzen sich ebenfalls in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit dem Alltag, wenn auch dem amerikanischen, in ihren dokumentarischen Fotoprojekten auseinander. Während auch diese Vertreter der sogenannten Street Photography grundsätzlich an den realistischen Aufzeichnungsfähigkeiten des Mediums festhalten, reflektieren sie doch, im Gegensatz zu Jäger, bewusst die gesellschaftlichen und kulturellen Bedingungen des fotografischen Bildes, u.a. durch Missachtung handwerklicher Perfektion. 
 
Dies ist auch nicht weiter verwunderlich, wenn man sich noch einmal den Entstehungskontext der Fotografien von Bert Jäger ins Gedächtnis ruft: sie stehen exemplarisch für den Versuch, sich mit Hilfe der Fotografie das Fremde anzueignen, das Fixieren der Welt mit der Kamera. Während der normale Tourist allerdings in der Regel das erneut festhält, was er bereits auf einem anderen Foto gesehen hat weil er sich erst durch diese Wiederholung den Ort persönlich aneignet ist Jäger von der genau entgegengesetzten Idee geleitet, das Fremde mit Hilfe des eher Unscheinbaren, Plötzlichen und Unvorgesehenen zu erforschen und zu dokumentieren. 
 
Das Ergebnis sind Fotografien, in denen sich auf den ersten Blick die subjektive Sicht eines Einzelnen im Ausdruck des Dokumentarischen ablesen lässt. Aber durch das Auge der Kamera betrachtet, wird eine weitere, andere Ordnung der Wahrnehmung möglich, die die Zeichen der realen, vergänglichen Welt als autonome Bilder erscheinen lässt. Und diese Bilder gilt es nun heute zu entdecken!”